Bloggerdialog Selbstreflexion

Reflexion belebt das Geschäft

Lesen Sie hier den Archivbeitrag, ursprünglich veröffentlicht im Rahmen des Quod.X®-Bloggerdialogs 2021 zum Thema „Selbstreflexion und Krisenbewältigung“

Vorstellungsvideo und Interview mit Dr. Stefan Fourier


Eine Nestbeschmutzung


Ich reflektiere deine Defizite oder die deiner Organisation, und dann sage ich dir, wie du sie beseitigen kannst, helfe dir dabei oder mache es für dich. Das ist, vereinfacht gesagt, das Geschäftsmodell von Beratern, Coaches und Therapeuten. Es ist zukunftsgerichtet: Die heutigen Defizite werden beseitigt, um für Morgen besser gerüstet zu sein. Das klingt gut, macht Sinn.

Dieses Geschäftsmodell unterstellt einerseits, dass es einen Maßstab, ein Schema für Menschen und Organisationen gibt, die sich für die Zukunft als richtig erweisen werden. Dass man Menschen und Organisationen auf etwas vorbereiten kann, was heute, zum Zeitpunkt der Reflexion, noch nicht existiert. Dass es möglich ist, auf der Grundlage einer Analyse zu bestimmen, was für den Menschen oder die Organisation in einer unbekannten Zukunft richtig sein wird.

Dieses Geschäftsmodell unterstellt weiterhin, dass man Menschen und Organisationen entwickeln muss, von außen sozusagen. Weil sie das selbst nicht können. Weil sie unmündig sind, kindhaft gefangen. Weil ihnen die erforderlichen Kompetenzen fehlen. Weil sich schließlich niemand am eigenen Haarschopf aus dem Sumpf ziehen kann.

Wir haben es hier mit zwei Anmaßungen zu tun. Erstens maßt sich jemand an, die Zukunft zu kennen. Und zweitens maßt sich jemand an, Menschen oder Organisationen „von außen“ zu verändern. Zusammen wird das „aktive und vorausschauende Entwicklung“ genannt, Personalentwicklung oder Organisationsentwicklung, Human Engineering oder Social Engineering – um es mal ganz extrem auszudrücken.

Was jedoch, wenn Beides nicht nur Anmaßungen, sondern Irrtümer sind? Wenn es gar nicht möglich ist, einen Maßstab für die Zukunft zu definieren, weil man die Zukunft nicht kennt und nicht kennen kann? Wenn es gar nicht möglich ist, Menschen und Organisationen „von außen“ zu verändern, weil sie einen freien Willen haben und sich nur selbst verändern können?

Bei all dem gibt es auch noch ein paar ethische Fragen:

Wo bleibt die Freiheit des Menschen, sich irren zu dürfen? So in Ordnung zu sein, wie er ist und so bleiben zu dürfen, egal was da später mal kommt oder vielleicht sein wird? Und gilt das nicht auch für Organisationen? Haben nicht beide, Menschen und Organisationen, die Verantwortung für sich selbst und die Konsequenzen ihres Handelns, oder Nichthandelns? Entmündigt man sie nicht, wenn man ihnen diese Selbstverantwortung abnimmt?

Ich breche hier eine Lanze für die Wahrnehmung des Unterschieds zwischen etwas entwickeln – Menschen und/oder Organisationen – und Selbstentwicklung unterstützen. Das erstgenannte Vorgehen setzt darauf, dass der Entwickler weiß, was richtig ist und die Entwicklung aktiv treibt. Das zweitgenannte Herangehen vertraut darauf, dass mittels Versuch und Irrtum, auf iterative Weise, Menschen und Organisationen ihre eigenen Entwicklungswege finden und beschreiten. Der erste Weg geht schneller, birgt jedoch das Risiko des Irrtums, die Abhängigkeit von einzelnen Akteuren und die Gefahr der Entwicklungsverweigerung durch die Organisation oder die Menschen. Der zweite Weg verlangt Vertrauen darauf, dass sich „die Dinge“ schon richtig entwickeln werden und führt mitunter zu Resultaten, die wir überhaupt nicht erwartet hätten.

Ich möchte nicht für andere entscheiden müssen, welchen der beiden Wege sie gehen sollen. Für mich persönlich neige ich nach all den Jahren eher zum zweiten Weg. Mit Humanagement steht mir dafür auch ein brauchbares Denksystem zur Verfügung.

Zum Schluss noch eine kleine Anekdote: Nach einem Vortrag über Changeability und die Möglichkeiten, Unternehmen zukunftsfest zu machen, stand einer der Teilnehmer auf. „Ach wissen Sie, das ist ja alles richtig, was sie da gesagt haben, aber ich werde mir den ganzen Aufwand sparen. Wenn meine Firma mal nicht mehr läuft, dann sperre ich sie zu und fange etwas Neues an.“ Ich war zunächst ziemlich erschüttert über seine Reaktion auf meinen doch sehr fundierten Vortrag. Bei näherem Überlegen fragte ich mich, ob er nicht vielleicht doch recht hat. Zumindest für ihn schien das ja zu stimmen!

 

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